Lektorat Schnitzler

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Da ich nicht nur Lektor bin, sondern sozusagen auch auf der anderen Seite des Tisches sitze, sprich selbst Autor bin, denke ich, ist es hilfreich, wenn Sie sehen, wie ich selbst in meinen Büchern schreibe.

Aus diesem Grunde finden Sie hier ein Kapitel aus meinem Buch Blumenpflücken während der Fahrt verboten:

 

Bangla gegen den Rest der Welt

New York City, USA – 1996

Man stelle sich ein Formular mit blöden Fragen vor. Dann stelle man sich eine Landung vor, etwas holprig vielleicht, aber okay! Weiterhin stelle man sich Gepäck vor, das schnell in die richtigen Hände geraten ist und mit Füßen weitergeschoben wird. Wenn es nicht zu viel verlangt ist, stelle man sich nun eine Schlange vor, nein, nicht die, sondern die andere. Der Weg (der Schlange) ist vorgegeben. Ein freundliches »How are you!«, danach wird’s ernst – drei Minuten, fünf Minuten, manchmal auch länger (es kommt auf das gesunde Mischungsverhältnis von Ehrlichkeit und Dämlichkeit des Besuchers an). Immigration heißt das Zauberwort – und das, was nun vor einem liegt. Die im Flugzeug ausgefüllten Formulare werden einer näheren Prüfung unterzogen. Wie sieht es mit ansteckenden Krankheiten aus? War jemand der Familie Kriegsverbrecher?

Gut, aber sind die Fragen wirklich ernst gemeint, denken wahrscheinlich nicht nur wir. So what oder wie der weit gereiste Deutsche sagt: what shall‘s! Ja, ich habe einen gültigen Personalausweis und ersuche um Einlass als nicht immigrierender Besucher; nein, ich habe nichts Böses im Sinn mit Ihrem Land; niemand hat mich ausgeschlossen aus diesen oder jenen Gründen, seien es ansteckende oder mentale, narkotische oder dealende, kriminelle oder abgeschobene Gründe, oder gar subversive und kommunistische, nein, entschieden nein, nein, nein! Ich bin keine Gefahr für Wohlergehen, Gesundheit und Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika.

Da müssen alle durch, die in die USA hineinwollen. Ist es jetzt noch schwierig, sich vorzustellen, dass man in New York ist. Pardon, New York City natürlich.

Draußen vor dem John F. Kennedy Airport warten die Taxis, große gelbe Kutschen, gemeinsam mit jenen uniformierten Menschen, die ihren Broterwerb »Taxireinstecken« nennen könnten und mit autoritären Handbewegungen die Fahrer herbeirufen. Von ihnen erfährt der Passagier, dass der Pilot des gelben Ungetüms nicht mehr als 30 Dollar plus 3,50 Dollar Tunnelgebühr plus fünfzehn Prozent Trinkgeld verlangen könne. Also hinein ins Taxi – sehr bestimmt, sehr freundlich, von sehr fürsorglichen Händen getrieben (das Vorurteil, alle Amerikaner haben keine Zeit, bestätigt sich hier zum ersten Mal) – und die Fahrt nach Manhattan kann beginnen. Natürlich wissen wir, dass es einen Bus gibt, der billiger ist, doch manchmal gibt es Gründe, die teurere Variante zu wählen.

Kaum Platz genommen (wir liegen wie auf einem Sofa, mittels einer Glasscheibe vom Pilotensitz getrennt) schießt der Wagen wie ein Wilder davon, wobei der Bordstein noch einmal gerade soeben ungeschoren davonkommt, während der Taxifahrer, jemand mit fernöstlicher Zunge, der man kaum folgen kann, uns (ich glaube aus gesetzlichen Gründen, bin mir aber nicht sicher) noch einmal mit Worten und einem Aufkleber, so gut es eben geht, aufklärt, wie viel die Fahrt kosten dürfe. Im gleichen Atemzug klagt er uns, vielleicht mehr noch sich selbst, die Ohren voll, dass die Fahrt ja eigentlich 40 Dollar kosten würde, eigentlich, aber aus unerfindlichen Gründen billiger sei. Auf solche Diskussionen darf man sich erst gar nicht einlassen, denke ich, finde es jedoch recht ersprießlich, als er die beklagenswerten Lebensverhältnisse in Bangladesch (unser Taxifahrer stammt aus Bangladesch) im Besonderen anführt, die beklagenswerten Verhältnisse im Fernen Osten sowieso, die beklagenswerten Verhältnisse seines Onkels in Brooklyn obendrein, die beklagenswerten Verhältnisse in seinem Taxi ohnehin. Das sehe ich ein. Schon jetzt schaut er wie fünfeinhalb Tage Regenwetter drein. Bei dem Prozedere neigt er den Kopf schräg zur Seite, sodass wir seine sich zur Spitze hin stark verjüngende Nase sehen können, die sehr an Pinocchios Riechorgan erinnert. Seltsam.

Meine neben mir sitzende Freundin hat sich seit zwei Minuten, genauer gesagt nach der ersten Kurve, ausgeklinkt und ist zu einer Stellungnahme nicht bereit – sie sieht ängstlich nach draußen. Dann sagt sie: »Es gibt eigentlich keinen Grund, warum mir das Herz bis zum Hals schlägt. Aber es schert sich einen Dreck darum.«

Nanu, denke ich, sie hat die Wüste und ihre Ente (2CV) überlebt und den Winterschlussverkauf bei Karstadt, und schaue furchtsam hinterher. Der Mann aus Bangladesch mit diesem dornenvollen Leben jagt seinen Wagen kreuz und quer über drei bis acht Spuren durch den dichten Verkehr, wobei er nicht immer den Richtlinien des amerikanischen Verkehrsrechts folgt. Von oben muss es aussehen wie die Verfolgungsjagd von O. J. Simpson (auch wenn wir nicht in einem Ford Bronco sitzen), und mir kommt der Gedanke, als preiswerter Statist in einem Ami-Krimi missbraucht zu werden.

In diesem Augenblick muss ich überraschenderweise an den kleinen roten Triebwagen denken, der in meinen frühen Kindertagen meinen Heimatort Ameln mit Bedburg verband. Dieser eilte mit einer solch rasanten Geschwindigkeit durch die Felder, dass sich die Bahn genötigt sah, ein Hinweisschild in dem Waggon anzubringen, das da lautete:

»Blumenpflücken während der Fahrt verboten.«

Herrlich.

»Nie hat jemand den Weg vom Flughafen nach Manhattan flotter zurückgelegt als wir«, meint meine Freundin lapidar und reißt mich aus meinen Gedanken, bevor sie sich wieder der Aussicht da draußen widmet.

»Wusstest du …«, setze ich an, um ihr von der kleinen Bahn zu erzählen, lasse es dann aber bleiben. Stattdessen frage ich sie: »Wusstest du, dass der Name Manhattan der Indianersprache Algonkin entstammt und ›Ort der Vergiftung‹ heißt?

»Bis heute nicht.«

Mürrisch katapultiert unser Chauffeur unachtsame Fahrer zur Seite, schüchtert mit der Faust ein, wenn die Reaktion ein Hupen ist, droht mit Wortsalven, wenn die Reaktion kein Hupen ist. Er ist ein cholerischer, schlecht rasierter, schlecht gewaschener, schlecht Auto fahrender, bestimmt schlecht riechender Taxifahrer, der für den Erwerb seines Yellow-Cab-Scheins, so verstehe ich ihn, vier Monate auf Essen und Trinken und Schlafen verzichtet hat. Er selbst pfeift aus dem letzten Loch, von denen ich nicht weniger als fünf zwischen seinen Schulterblättern zähle. Da ich seinen Namen so schnell vergessen habe wie die Wettervorhersage, nenne ich ihn Bangla. Das finde ich gerechtfertigt, denn Angst scheint er nicht zu kennen. Im Augenblick hupt und flucht und gestikuliert er – nun, das finde ich keineswegs besorgniserregend, denn er scheint das Recht des beklagenswerten Bangladeschers, eingeklemmt zwischen Indien, Myanmar, dem Himalaja und New York, auf seiner Seite zu haben. Dieser Mann, der, als er später vor dem Hotel vor uns steht, ein kleiner Wicht ist, nicht größer als Humphrey Bogart mit Stöckelschuhen, hüpft die Fahrstreifen rauf und runter, schert sich kaum um die Vorfahrt anderer Fahrer und prüft unsere Jetlagnerven ein ums andere Mal. Das Gesicht meiner Freundin hat sich mittlerweile weiß gefärbt, obwohl sie, wie ich sagte, die Wüste und ihre Ente und den Winterschlussverkauf bei Karstadt überlebt hatte (eine feine Leistung, wie ich ihr immer wieder eingestehen muss).

In Manhattan angekommen, vor einer der nicht seltenen Baustellen dieser Stadt, schert ein schwarzer Cadillac, nicht unähnlich dem deutschen Reißverschlusssystem, in den fließenden Verkehr. Er macht allerdings den Fehler, sich vor unseren Taxifahrer zu zwängen. Das tut man nicht, das ist Gesetz (man sieht, wir fühlen uns schon heimisch und solidarisch). Bangla bedenkt ihn per se mit einer wahren Schimpfkanonade amerikanischer Flüche (sie sind amerikanisch, da gibt es keinen Zweifel), die immer länger und schlimmer wird, da dummerweise zudem noch eine penetrante Ampel auf Rot steht, sodass nichts mehr geht. Wir stecken im Stau fest. Bangla hupt und droht, droht und hupt. Flink wie ein Wiesel hat er flugs sein Fenster heruntergekurbelt und schreit seinen Zorn nach draußen, wo ihm niemand eine Spur von Aufmerksamkeit schenkt.

Diese Tatsache bringt den schmächtigen Mann so sehr in Rage, dass er sich ein paar Münzen schnappt und sie gegen das Fahrzeug seines vermeintlichen Widersachers schleudert. Sechs Tage Regenwetter. Dieser scheint glücklicherweise zunächst keine Notiz davon zu nehmen, doch eine zweite Münzaufforderung in die Heckscheibe lässt ihn cool und ruhig und zwei Meter groß aus dem Fahrzeug steigen. In diesem Moment bemerken wir, dass sowohl der Cadillac als auch sein Fahrer schön schwarz sind und beide eine spiegelnde Glatze haben. Wir rücken auf Tuchfühlung zusammen, während Bangla dem schwarzen, elegant gekleideten Mann, über dessen rechter Augenbraue eine kleine Narbe wie ein Reiskorn unter der Haut verläuft, ein derbes, hochstimmiges »son of a bitch« zuwirft, noch ehe er vor dem Taxifenster zum Stehen kommt. Dann spitzt er die Ohren, was ihm leichtfällt, denn was die abstehenden Gehörorgane betrifft, kann ihm so leicht keiner im Umkreis von Kilometern das Wasser reichen. Bangla hüpft in seinem Sitz, als habe ihn ein besonders schlimmer Anfall von Schluckauf ereilt, während unheilvolle Gedanken irgendwelche abstrusen Allianzen mit dem Rest seines Verstandes eingehen, und schreit der Glatze ins Gesicht – nachdem er aus begreiflicher Prävention seine Brille von der Nase genommen hat –, er möge ihm doch bitte gefälligst eine reinhauen, aber er würde schon sehen, was er davon habe. Er scheint mit dem Mundwerk nicht weniger flink zu sein als mit dem Fahren.

»Der ist doch nicht ganz dicht im Oberstübchen«, sagt meine Freundin, und in diesem Moment gräbt sich ihre rechte Hand in meinen linken Oberschenkel.

Ich schreie vor Schmerz auf und weiß mit einem Mal nicht mehr, von welcher Seite die größere Gefahr droht, aber ich kann ihr das nicht übel nehmen. Mein Skrotum hat sich bereits beängstigend stark zusammengezogen. Nach dieser Überraschung linse ich neugierig in den New Yorker Nachmittag. Draußen steht noch immer der schwarze Riese und überlegt, ob sich ein Strafgerichtsverfahren günstig auf seine Karriere als Broker oder Anwalt auswirken würde. Ich spüre, wie Adrenalin und Endorphine sich heimlich die Hand reichen und schon dabei sind, die Tür zu öffnen, da kommt er wohl zu einem abschlägigen Ergebnis, das er mit den unfeinen Worten »fuck you« kundtut, geht die paar Schritte hoch erhobenen Hauptes zurück zu seinem Cadillac, steigt ein und fährt davon. Nun ja, er sieht sich dazu imstande, denn die Schlange vor uns hat sich wundersamerweise aufgelöst, und auch die Ampel scheint des Roten überdrüssig geworden zu sein.

Bangla gelingt es, sein Fluchen nun mit fremdländischen Tönen zu würzen, die ich vorschnell, aber aus durchaus logischen Erwägungen, dennoch unverifiziert, den Zungen des Fernen Ostens zuschreibe. Sechseinhalb Tage Regenwetter.

»Oh«, sagt meine Freundin, als sie die Augen wieder öffnet, »nicht einmal blaue Flecken hat der Kerl. Erstaunlich! «

Mittlerweile sind unser Taxifahrer und mithin wir selbst Kopf der Baustellen-/Ampelschlange geworden. Während er justament den Wagen seelenruhig startet, schlägt uns eine Flutwelle von Hupsignalen entgegen, die Bangla jovial mit den Worten »fucking bastards« kommentiert. Er fährt ein paar Schritte vor, hält an, steigt aus und sammelt mit der Ruhe eines Tiefseetauchers die soeben geworfenen Münzen auf, was den nachfolgenden Verkehr zu einem wahren Hupkonzert veranlasst, worauf er wütend, aber nachlässig mit der Faust droht. Wieder fünfeinhalb Tage Regenwetter.

In dem Moment überquert vor uns eine Frau die Straße, die stundenlang vor dem Schminkspiegel zu sitzen scheint, bevor sie überhaupt einen Schritt vor die Tür setzt. Irgendwie ist sie zu dem Schluss gekommen, dass es sich lohnt, neben einem bis oben zugeknöpften Mantel auch noch einen meterlangen Schal zu tragen. Neugierig – und in gewisser Weise todesmutig – lugt sie in unser Taxi hinein, ehe sie, wohl von Banglas missvergnügtem Gesichtsausdruck angetrieben, rasch das Weite sucht, um nicht von seinem sich ankündigenden Kavalierstart überrascht und auf die Hörner genommen zu werden. Glück gehabt.

Einen Block entfernt, unweit von Ampel und Baustelle, lädt er uns vor unserem Hotel ab. Ich reiche ihm 35 Dollar, er mir einen bösen Blick, ich lege noch 2 Dollar drauf (das ist für den Verzicht auf handfeste Sanktionsmaßnahmen), er ein Augenflackern hinzu. Hätte er mir zumindest geholfen, das Gepäck aus dem Kofferraum zu hieven, wäre mein weiches Herz zum Vorschein gekommen; ich hätte ihm meine Brieftasche hingehalten, gesagt: »Nehmen Sie ruhig, junger Mann, damit Ihr Onkel, Bangladesch, der Ferne Osten und Ihr Taxi über die Runden kommen, nehmen Sie, keine falsche Bescheidenheit.« Doch er versteckt die Hände in den Hosentaschen und zeigt sich auf einmal so schweigsam wie einer dieser Zeltbewohner aus der Inneren Mongolei. So nicht, junger Mann. Meine Freundin flüstert, ich solle den kleinen Scheißer stehen lassen, es reiche jetzt mit dem Geld, dafür hätte man sich auch ein richtiges Taxi leisten können. Ich finde das arg weit hergeholt, aber … Ich will sie verdutzt ansehen, da ist sie auch schon im Hoteleingang verschwunden. Kurzerhand steigere ich sein Honorar um einen weiteren Dollar (das ist für die Hände in den Taschen). In dem Moment sieht er mich an, als wolle er sagen, die Welt geht zum Teufel, wenn du mich fragst. Das hier ist ja lächerlich. In diesem Punkt bin ich genau seiner Meinung, schnappe mir das Gepäck und gehe rein.

Bangla starrt mir hinterher und hebt an zu schimpfen, wobei er die Worte schneller ausspuckt als die Oortsche Wolke ihre Kometen, wenn ein Stern ihr zu nahe kommt.

Als wir nach einer Viertelstunde die Formalitäten erledigt haben, sehen wir, wie Bangla, wütend mit sich selbst redend, sich und sein gelbes Taxi in den New Yorker Nachmittagsverkehr einreiht, fest entschlossen, den Nächsten nicht so glimpflich davonkommen zu lassen. Jetzt scheint er den siebten Tag erreicht zu haben. Es regnet in Strömen.